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Epica Atacama

Epica Atacama

28.01.19 09:51 9.161Text: Stefan HacklFotos: Alejandro LeonSand und Weite, wohin das Auge schaut. Vom Kampf um Meter und Sekunden an einem der trockensten Orte der Welt. Stefan Hackl berichtet vom Wettfahren durch die Wüste Atacama in Chile.28.01.19 09:51 9.169

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28.01.19 09:51 9.1696 Kommentare Stefan Hackl Alejandro LeonSand und Weite, wohin das Auge schaut. Vom Kampf um Meter und Sekunden an einem der trockensten Orte der Welt. Stefan Hackl berichtet vom Wettfahren durch die Wüste Atacama in Chile.28.01.19 09:51 9.169

Aeroporto de Atacama – ein einsames Asphaltband im Nirgendwo. Ein kleiner Traktor mit zwei Anhängern tuckert gemächlich aus einer Garage am Ende des Flughafengebäudes. Beim Aussteigen bläst mir ein kühler Wind entgegen. Sogleich schließe ich den Reißverschluss meiner Jacke. Sandkörner wirbeln spiralförmig durch die Luft.
Die Schiebetür öffnet den Weg ins Innere des Flughafengebäudes. Nichts. Ein Schnupperer links, ein weiterer rechts. Wirklich NICHTS! Ich kann es nicht glauben - oder besser gesagt: nicht riechen. Mein olfaktorische Kortex wird von keiner Parfüm-geschwängerten Duty-free-Luft gepeinigt. Der trockenste Ort der Welt scheint wohl auch die Duftwässerchenproduzenten abzuschrecken.

Vor dem Flughafen vermischt sich kurz die Menge der Ankömmlinge mit Taxifahrern und Angehörigen. Als ich einem Taxifahrer zum Auto am Parkplatz folge, ist der Flughafen schon längst wieder in Lethargie verfallen. Schnell wird mein Fahrradkoffer mit einem Spanngurt zwischen Kofferraumdeckel und Karosserie gesichert. Dann geht's los.
Ich genieße die Einsamkeit der 40-minütigen Fahrt durch die Sandwüste Chiles nach Copiapo. Nur mein olfaktorische Kortex wird von einem unterhalb des Rückspiegels pendelnden Duftbäumchen mit künstlichem Orangenduft gefoltert …

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Etappe 1 | Copiapo – Inca de Oro | 109 km

Zwei Tage später stehe ich neben den beiden Chilenen Jose und Christian. Eine halbstündige Busfahrt brachte uns zum Startgelände. In einem ausgetrockneten Bachbett schwankt der Startbogen im Wind. Nach dem Startschuss sprintet das Fahrerfeld in ein unvergessliches Abenteuer.
Auf den ersten 25 Kilometern kann ich mich in der Spitzengruppe halten, aber als es dann richtig bergauf geht, lasse ich reißen. Denn wenn man dem Höhenprofil glaubt, erwartet uns die erste längere Abfahrt erst zehn Kilometer vor dem Ziel. Das Schotterband schlängelt sich stetig bergauf, während der Wind von vorne bläst.
Als Anna Ramirez Bauxell spielerisch an mir vorbeizieht, holt mich eine Sanddüne vom Rad. Die weiteren Pedalumdrehungen verpuffen zum Großteil im Sand.

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Erst nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich den höchsten Punkt und starte in den Downhill. Nach einem kurzen Asphaltabschnitt im Tal signalisiert ein Streckenposten eine Rechtskurve. „Verdammt, wo ist das Ziel! Eigentlich kann´s nicht mehr weit sein.“ spukt es mir durch den Kopf.
Im Schritttempo kämpfe ich mich schlangenlinienförmig weiter durch den Sand. Dann endlich taucht der erlösende Zielbogen vor mir auf. Mit fünf Minuten Rückstand auf Nicolas Ciammarino Cregorina werde ich Zweiter in der Masters 1 Kategorie.

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Etappe 2 | Inca de Oro - Inca de Oro | 70 km

Ruhig liegt die Atacama vor dem Starterfeld. Endlich spendet die Sonne Wärme. Eine sehr kalte Wüstennacht liegt hinter mir. Immer wieder erwachte ich, um mir noch eine weitere Kleidungsschicht anzuziehen. In der Früh schälte ich mich schließlich mit drei Hosen, vier Oberteilen und einer Sturmhaube aus meinem Daunenschlafsack.
Noch selten zuvor habe ich mich derart auf den Sartschuss gefreut, denn mit jedem Tritt in die Pedale kehrt etwas Wärme in meinen Körper zurück.
Am ersten Anstieg wird ordentlich am Tempo geschraubt. Ich versuche, etwas Körner zu sparen und halte das Hinterrad von Anna Ramirez Bauxell. Ein kühler Wind bläst uns ins Gesicht. Auf 2.700 m erreiche ich die Labestelle am höchsten Punkt der gesamten Woche. Danach lässt mich Anna ziehen, denn meine Beine fühlen sich gut an.
Eine Freiergruppe liegt knapp vor mir und ich versuche, die Lücke zu schließen. Aber es kostet zu viel Kraft, sich alleine gegen den Wind zu stemmen und so nehme ich wieder Tempo raus und beende gemeinsam mit meiner spanischen Mitstreiterin vom Beginn die Etappe. Heute verpasse ich mit dem vierten Platz nur knapp das Kategorien-Podium.

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Im Zelt herrscht eine unerträgliche Hitze. Schon nach kürzester Zeit stehen Schweißperlen auf meiner Haut. Entnervt und völlig verschwitzt springe ich vom Campingbett auf und flüchte ins Freie. Im Verpflegungszelt lässt es sich wenigstens für einige Zeit ohne Schweißausbruch aushalten.
Je weiter sich die Sonne dem Horizont nähert, umso erträglicher werden die Temperaturen. Daher kontrolliere ich die Reifen auf Schnitte, diverse Schrauben auf Festigkeit und schmiere die Kette. Der Alltag scheint schon meterweit unter den sandigen Eindrücken der letzten Tage verschüttet zu sein. Der bekannte Stage Race-Rhythmus "ride, sleep, eat" breitet sich immer mehr aus.

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Etappe 3 | Inca de Oro – Medanoso | 82 km

Die dritte Etappe startet mit einem steilen Anstieg. Ich fühle mich wohl und halte das Tempo der Spitzengruppe. Erst als der gesamtführende Spanier Oriol Colome Roca attackiert, zerfällt die Gruppe.
Als Kategorienerster erreiche ich die Labestelle, ehe ein Trail ins Tal hinabbiegt. Im sandigen Downhill spielen die beiden Chilenen Nicolas Ciammarino Cregorina und Jose Pablo Ramirez ihre Erfahrung aus und überholen mich. Ein schier endlos langes Tal liegt vor mir. In einem ausgetrockneten Flußbett schlängelt sich die Strecke in Richtung eines Dünenmassivs. Alleine kämpfe ich gegen den steinigen Untergrund und den Wind. Doch dann taucht hinter mir eine Gruppe um Juan Pablo Conzalez Aguilera, meinen härtesten Konkurrenten um das Kategorien-Podium, auf. Als sie aufschließen, versuche ich, das Tempo zu halten. Das gelingt mir, bis wir endgültig in die Dünen eintauchen. Dort versinkt mein Bike zu oft im tiefen Sand, um den Speed zu halten. Dann geht gar nichts mehr, wir schieben unsere Bikes überdimensionale Dünen hinauf.

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 Die Atacama verwandelt mich in einen Roboter im Überlebensmodus 

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Während ich auf den Dünenabfahrten nicht so recht ins Fahren komme, schießen einige Racer förmlich an mir vorbei. Auch der Chilene Juan Pablo Conzalez Aguilera verschwindet hinter einer Düne vor mir.
„Nicht die Natur erfand die Wüste, sondern Chuck Norris brauchte Sand für den Strand.“ Diese Erinnerung bringt mich kurz zum Lächeln, ehe mich der Sand in meinen Schuhen auf den Boden, oder besser gesagt: auf die Düne der Atacama zurückbringt. Schließlich muss ich stoppen, um die Schuhe auszuziehen. Der Sand rieselt vom Wind getragen aus meinen Schuhen. Endlich signalisiert ein Streckenposten das Ende dieses Abschnittes. Nach weiteren sechs Kilometern erreiche ich erschöpft das Ziel.
In einem kleinen Verpflegungszelt versuche ich, meine leeren Akkus mit Pasta und Elektrolytgetränken aufzufüllen. Die Realität zieht wie ein Film an mir vorbei. Mein Kopf ist leer. Automatisch führe ich die mit Nudeln beladene Plastikgabel zum Mund. Die Atacama verwandelt mich in einen Roboter im Überlebensmodus. Erst auf der einstündigen Busfahrt zum Lager kehren meine Lebensgeister langsam wieder zurück.

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Etappe 4 | Medanoso – Mina San Jose – Bahia Inglesa | 81 km

Nach der ersten Etappe war ich sehr zuversichtlich, dass ein Podiumsplatz in der Gesamtwertung möglich sei. Drei Tage später habe ich leider 25 Minuten Rückstand auf den Dritten. Damit ist die Gesamtwertung dahin. „Vielleicht kann ich nochmal eine Etappe am Podium beenden“ versuche ich, mich vor dem Start zu motivieren.
Auch heute beginnt die Etappe mit einem Anstieg. Ich versuche, eine Lücke zur Spitzengruppe zuzufahren, aber nach drei Kilometern lasse ich mich in die Verfolgergruppe zurückfallen. Die Gruppe um Anna Ramirez Bauxell arbeitet gut zusammen.
Die Strecke führt kilometerweit durch eine imposante Schlucht. Erst am letzten Anstieg versucht Juan Pablo Conzalez Aguilera, mit einer Tempoverschärfung die Gruppe zu sprengen. Aber in der Abfahrt stellen wir ihn wieder. „Mist, mein Hinterrad wird weicher!“ Kurz stoppe ich, um den Reifendruck zu kontrollieren. Zum Glück hat der Eindruck getäuscht.

Der Pazifik vor uns signalisiert nur mehr wenige Kilometer bis ins Ziel. Alleine stemme ich mich gegen den Wind. Eine weitere Tempoverschärfung in der Gruppe vor mir hat diese zerbrechen lassen. Ich überhole einen Fahrer nach dem anderen. Als ich auch noch Anna Ramirez Bauxell hinter mir lasse, liegt nur mehr mein chilenischer Lieblingsgegner vor mir. Tatsächlich kann ich zu Juan Pablo Conzalez Aguilera aufschließen.
Wir belauern uns, keiner möchte eine Attacke verpassen. Gemeinsam biegen wir auf die Zielgerade ein. Er eröffnet den Zielsprint. Ich trete ebenfalls an. Mit kräftigen Tritten schiebe ich mich an Juan Pablo vorbei und werde Dritter in der Masters1- Kategorie.

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Etappe 5 | Bahia Inglesa - Bahia Inglesa | 110 km

Eine richtig harte Etappe steht heute am Programm. Nach einem etwas verhaltenen Start setzt sich der Etappensieger Juan Pablo Pereyra aus Argentinien an die Spitze. Sogleich verschärft sich das Tempo. Einige Fahrer haben Probleme, im Windschatten zu bleiben. Auch Juan Pablo Conzalez Aguilera fällt heraus. Ich hingegen kann den Speed halten. In einer achtköpfigen Gruppe pflügen wir durch die Ebenen der Atacama. Sie zerbricht erst zur Halbzeit in einem technischen Anstieg.
Gemeinsam mit dem Spanier Salvador Morillo del Rio und Miguel Angel Maya Vella aus Columbien bilden wir die Verfolgergruppe. Es dauert nicht lange und weitere Opfer der Tempoverschärfung an der Front schließen sich unserer Gruppe an. Im hügeligen Küstenabschnitt der Atacama fühle ich mich so richtig wohl. Meine Beine funktionieren fast wie von alleine.
Dunkle Wolken liegen über der Bucht von Bahia Iglesia, als wir in die Zielgerade einbiegen. Den Sprint kann ich wohl heute nicht für mich entscheiden, aber der dritte Platz in der Alterskategorie ist meiner. Erst im Fahrerlager erfahre ich von Christian, dass Juan Pablo Conzalez Aguilera einen schwarzen Tag hatte und ordentlich Zeit eingebüßt hat.

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Etappe 6 | Bahia Inglesa - Bahia Inglesa | 40 km

Nur 1:27 Minuten fehlen mir in der Gesamtwertung auf den dritten Klassenrang. Juan Pablo Conzalez Aguilera und ich geben uns am Morgen nochmal die Hand und fiebern dem Startschuss entgegen. Dann beginnt der letzte Kampf um das Masters1- Podium.
Mein chilenischer Konkurrent fällt rasch aus der Führungsgruppe. Das beflügelt mich und motiviert mich, tief im roten Bereich zu fahren. Immer wieder blicke ich über meine Schultern zurück, aber hier klafft bereits eine große Lücke. Mit Nicolas Ciammarino Cregorina wechsle ich mich in der Führungsarbeit ab. Dann geschieht das Unerwartete: Juan Pablo Conzalez Aguilera kehrt am Hinterrad zweier Landsleute zurück. Sie dürften die bessere Linie durch den tiefen Sand gefunden haben. Nun bin ich derjenige, der Probleme hat, das Tempo zu halten. So sicher war ich mir, den Vorsprung ins Ziel retten zu können! Nun rückt der dritte Platz in weite Ferne.
Aber dann stellt sich ein steiler Anstieg vor uns auf. "Jetzt oder nie!" Ich trete an. Juan Pablo Conzalez Aguilera versucht mein Hinterrad zu halten. Nach wenigen Kurbelumdrehungen kann er jedoch nicht mehr folgen. Ich quetsche die letzten Watt aus meinen Beinen. Gemeinsam mit Nicolas Ciammarino Cregorina rase ich dem Ziel entgegen. Die Verfolger sind in Sichtweite. Wird es reichen? Unbeirrt drücke ich weiter auf das Tempo. Dann sprinte ich über die Ziellinie.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Finishermedaillie nur Nebensache. Die Stoppuhr läuft weiter, Sekunde um Sekunde verstreicht. Juan Pablo Conzalez Aguilera lässt weiter auf sich warten. Eine Minute. Und die Zahl der Sekunden wächst weiter an. Nervös blicke ich zum Zielbogen. 1:30 Minuten, und der Chilene biegt noch immer nicht in die Zielgerade ein. "Yeahhh!" freue ich mich über den dritten Gesamtrag.

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Die Siegerehrung liegt hinter mir. Juan Pablo Conzalez Aguilera gratulierte mir zum dritten Platz und ein gemeinsames Foto wird uns lange Zeit an einen harten Fight erinnern. Christian, Jose und ich haben mit einer kühlen Dose Bier auf die letzten Tage angestoßen. Nun aber sitze ich am ruhigen Strand. Der Trubel ist verstummt. Das Rennen beendet.
Wie seit Jahrtausenden rollen die Wellen heran und gleiten sanft über den Sand. Muscheln werden angeschwemmt und im Gegenzug wird Sand in den Pazifik getragen. Genau dieses Zusammenspiel aus den Gegensätzen Trockenheit und Feuchtigkeit, Sand und Wasser, lässt die Atacama dazu werden, was sie ist: einer der beeindruckensten Orte dieses Planeten.

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